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last Change: 21.10.24

Ich bin geflogen

Der warme Sonntag im August neigt sich seinem Ende. Die Sonne steht nur noch zwei Finger breit über dem klaren Horizont und mein Magen höchsten einen über den Knien. Auf dem Broadway von Speyer kommen mir, auf dem Weg zu meinem türkischen Dönerlieferant, die letzten herausgeputzten Hauptstrassenschlenderer entgegen.
Wie die wohl diesen wunderbaren Tag verbracht haben? – Ausschlafen - spätes Frühstück - träges Wandern im Pfälzerwald - Kaffee und Kuchen - ausgedehntes Abendessen auf der Heimfahrt - noch mal der sehen-und-gesehen-werden-Hauptstrassengang, bevor der schwer verdiente Sonntag gemütlich vor der Glotze seinen Abschluß findet und man ausgeruht in die kommende Woche gehen kann.
Für mich begann dieser Tag schon gestern abend. Die schwache Kaltfront war durch; der Druck stieg leicht an; der Wind drehte auf Ost.
Um 23:00 Uhr lies mich die Vorfreude kaum einschlafen. Kein Saturday-Night-Fever, kein Hallydally bis in die Puppen.
Dafür zeigte sich mir um 7:30 Uhr der erhoffte stahlblaue Himmel beim Blick aus dem Fenster. Um kurz nach Acht fuhr ich gut gelaunt durch die noch ausgestorbene, friedlich schlummernde Stadt.
Auf dem Flugplatz stand der weiße Anhänger, von der gelben Morgensonne im blauen Himmel beleuchtet, erwartungsvoll im noch feuchten, satten grünen Gras.
Was war das ein befriedigender Anblick in Erwartung eines solchen Tages.
Etwas echauffiert betrachtet die etwas gesetztere sonntagsfeine Dame, eingehängt in den Arm ihres etwas gesetzteren sonntagsfeinen Mann, beim vorbeigehen mein Outfit.
Klar ging das Thermikkäppi in den 5h20min anstrengenden Fluges nicht spurlos an meiner Frisur vorbei, das das T-Shirt zerknittert vom Fallschirm und durchgeschwitzt ist, ließ sich nicht vermeiden. – Würzburg: 300m über Grund; trotz guter Optik zogen 2 Wolken nicht und sich mit einem unrunden, bockigen 1 Meter Bart rauszuwühlen - wer nimmt da Rücksicht auf die Konsistenz des T-Shirt? Die runden schwarzen Flecken auf meinen Jeans sind normal beim Aufbauen von Schneider-Flugzeugen. Die Grasflecken auf den Knien ? Logisch - abkleben, Wasser rein, einklinken.
Der Gedanke, ihr die wahren Gründe, die für den Zustand meines Outfits verantwortlich sind zu erklären, zieht mir die Mundwinkel weit hoch, ich zwinkere ihr noch zu und dann ist sie auch schon vorbei.
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Mann, ich war heute morgen in Speyer -- bin gestartet, über die Rheinebene, durch den Odenwald, den südlichen Spessart gestreift, nach Gemünden, gewendet, Würzburg, Bad Mergentheim, Crailsheim Bahnhof, Schwäbisch Hall, Heilbronn, Endanflughöhe am Kraftwerk, den Kraichgau durch, Sinsheim, über den Hockenheimer Wald schon mit 200 km/h, Wasserhähne auf, nen Summer über den Platz -- und jetzt, ein paar Stunden später, nach 350km, laufe ich wieder durch Speyer. Phantastisch, eigentlich unglaublich, - kaum vorstellbar, ich könnte die Welt umarmen, euphorische Hochstimmung.
Die 2 Herzelchen, die in ihren Stretchminis an mir vorbei stöckeln, grinse ich an, als hätte ich das Selbstbewußtsein von Clint Eastwood und das Aussehen von Brad Pitt (zumindest fühle ich mich gerade so).
Als ich beim Dönermann, in seinem kleinen Laden mit verrauchter Luft im kleinen Speyer, 3 große Döner zum mitnehmen ordere, habe ich den Blick aus dem Cockpit in 1800m Höhe vor Augen und den Duft der wassergeschwängerten Luft dicht unter der rasiermesserscharfen Basis in der Nase. Anstatt dem türkischen Gedudel aus dem Radio, hört mein Ohr die entzückende hohe Melodie des Zander bei Altfeld, als integrierte 4.2m/s mich von 600m auf 1700m zurückholten.
Auf dem Rückweg schießen mir laufend irgendwelche Fragmente von der Fülle der Eindrücke des Tages durch den Kopf:
Der spannende, tiefe Einstieg in den Odenwald, die Begegnung mit der majestätischen ASW-22BL, die Wolkenstraße im Odenwald, der Hammer in Altfeld, der Beinahe-Einschlag bei Würzburg, das Bussardpärchen im Aufwind bei Mergentheim, das nervenaufreibende, tiefe Herabgleiten im Blauen von Crailsheim bis Kupferzell, die entspannende Freude als beim Zander das Minus beim Gleitpfad verschwand, der Genuß von 30 Minuten Endanflug mit sicherer Reserve,......
Ich habe die ganze kommende Woche um diese Eindrücke zu genießen und zu verarbeiten.
Geil, es war Sonntag und - ich bin geflogen.
(Juli 1988)