(Bruno Gantenbrincks Statement zur Sicherheit)
Mein Vortrag ist als Festvortrag angekündigt.
Was erwartet man von einem Festvortrag? Etwas Erfreuliches,
Erbauliches, jedenfalls etwas Positives. Zumindest nichts, was das Bild stört.
Nun, in diesem Sinne ist mein Vortrag kein Festvortrag. Was kann man schon Erfreuliches oder
Festliches zum Thema Sicherheit sagen? Bei meinem Vortrag nehme ich bewußt in Kauf,
daß ich Euch erschrecke, provoziere, mindestens nachdenklich mache. Jede dieser Reaktionen
ist beabsichtigt. Ich werde auch keine Rücksicht daraufnehmen, ob das, was ich sage, eine
positive oder negative Schlagzeile in der Presse macht. Und wenn im nachhinein jemand zu mir
kommt und sagt: Mußtest Du unbedingt unser Nest beschmutzen, wo Presse im Saal war, wo
fremde Leute zuhörten, so wird mich dieser Vorwurf nicht treffen.
Wenn man alles das, was im Segelflug wichtig und wissenswert ist,
in einem großen Werk zusammenfassen wollte, so müßte das meiner Ansicht nach
in vier große Kapitel gegliedert sein.
Ein erstes Kapitel könnte von der Freiheit des Segelfluges
handeln. Hier würden wir natürlich die Schönheit und Majestätik des
Segelfliegens beschreiben. Wir würden aber auch die Probleme und Faktoren behandeln
müssen, die unsere Freiheit gefährden denn der Luftraum und die Probleme, die wir
damit haben sowie die steigende Zahl sinnloser Vorschriften, die uns die Zulassung von Geräten
und Piloten und Fluggeländen immer schwieriger machen, gibt genügend Anlaß zum
Nachdenken. Auch unseren Umgang mit unserer Umwelt müßten wir in diesem Kapitel definieren.
Für ein weiteres Kapital könnte die Überschrift
lauten: Die Möglichkeit zum Segelfliegen.
Wir hätten darin all die Organisationsfragen zu lösen,
die uns in letzter Zeit wirklich bewegten. Neben Strukturfragen: Wie organisieren wir uns
im großen und kleinen; wie wird die Ausbildung organisiert; wie sehen unsere Prüf- und
Zulassungsvorschriften aus? In diesem Kapitel müßte man natürlich auch
über die Kosten und deren Finanzierung sprechen, denn zum guten Schluß müssen wir
uns unseren Sport auch leisten können.
Ein drittes
Kapitel würde von den notwendigen Fähigkeiten, segelzufliegen, handeln. Man
würde dann all die Kenntnisse vermitteln, die wir brauchen, um unseren Sport auszuüben.
Die Theorie, die Aerodynamik, die Meteorologie, Segelflugtheorie, Flugtechnik und vieles andere
mehr.
Diese ersten drei Kapitel nehmen allein schon einen Zeitanteil von
mehr als 95 Prozent unserer Aufmerksamkeit, erst recht unserer Aktivitäten in Anspruch.
Mindestens ist es das, was ich aus meiner Erfahrung kenne, auch wenn ich einmal an
die Vortragsprogramme von Segelfliegertagen in den letzten Jahren zurückdenke.
Für das vierte Kapital bleibt wenig Zeit und Aufmerksamkeit
übrig. Und dieses Kapitel müßte davon handeln, wie man unseren Sport überlebt
. Es müßte mit Flugsicherheit überschrieben sein. Nach meinem Gefühl und
meinem Verständnis müßten diese vier Kapitel ungefähr gleichgewichtig sein.
Die Gleichgewichtung ist aber nicht gegeben. Allein die Nachlässigkeit also, mit der wir
das Kapitel Flugsicherheit in unserem Alltag behandeln, führt mich zu der Hypothese, daß
wir mit der Flugsicherheit ein Problem haben. Der eine
oder andere mag jetzt denken: Er übertreibt. Er
übt sich in Schwarzmalerei. Und das ist ja auch verständlich, denn er möchte aus
seinem Thema etwas machen. Also bläst er es auf, um es wichtig zu machen. Wir wissen doch
alle, es gibt nichts auf der Welt, was völlig ungefährlich ist. Auch Segelfliegen ist
nicht völlig ungefährlich. Aber eins wissen wir doch auch: Das Gefährlichste am
Segelfliegen ist bekanntermaßen die Fahrt zum Flugplatz.
Jeder hat diesen Satz schon benutzt, oder man hat ihn zumindest
schon gehört. Ich weiß noch genau, wie ich ihn zum ersten Mal gehört habe, als
ich als 14-jähriger Junge von meinem Vater auf dem Flugplatz abgeliefert wurde. Und er
erkundigte sich natürlich besorgt nach möglichen Gefahren für seinen Filius und
bekam diesen Satz in meinem Beisein vom Fluglehrer zu hören.
Wenn die Aussage stimmt, und sei es auch nur ungefähr, dann
hätten wir mit Flugsicherheit überhaupt kein Problem, dann wäre das Thema eine
Quantite negligeable. Ich könnte den Vortrag hier abbrechen, und wir könnten uns
anderen Dingen widmen. Es lohnt sich also, einmal genauer hinzusehen, ob dieser Satz wirklich
so stimmt.
Der Satz, das Gefährlichsteam Segelfliegen
sei die Fahrt zum Flugplatz, ist das Dümmste und Ignoranteste, was mir in unserem Sport
untergekommen ist.
Ich möchte dies - die Untersuchung der Wahrhaftigkeit dieses
Satzes - auf eine subtile, man mag sogar denken makabre Weise vornehmen. Aber der Zweck heiligt
in diesem Moment die Mittel. Ich verzichte darauf, eine dieser relativierenden Statistiken zu
benutzen, die das Luftfahrtbundesamt herausgibt. In denen von Unfällen pro 1000 Starts oder
Toten pro 1000 Flugstunden die Rede ist. Solche Statistiken sagen nicht viel. Sie drücken
nicht aus, was viel und was wenig ist. Wie viele Tote pro 100 000 Starts sind zu viel und wie
viele sind wenig? Wie viele sind akzeptabel? Solche relativierenden Zahlen fahren nicht unter
die Haut. Man kann damit niemanden erreichen. Ich möchte diesen Satz, das Gefährlichste
am Segelfliegen sei die Fahrt zum Flugplatz, an meiner ganz persönlichen Statistik messen.
Dazu habe ich drei Listen geführt. Ich habe in die Liste 1
die Namen der Kameraden geschrieben, die ich im Luftsport verloren habe. In einer zweiten Liste
habe ich die Namen derjenigen Kameraden vermerkt, die ich auf dem Weg zum Flugplatz - unterwegs
mit dem Auto oder dem Fahrrad - verloren habe. Und um den Überblick komplett zu machen, habe
ich eine Liste drei geführt, in die ich die Namen von Segelfliegern aufgenommen habe, die
ich überhaupt im Straßenverkehr verloren habe.
Nun, um es kurz zu machen: Liste eins enthält ungefähr
30 Namen. Ich will nur einige der prominentesten hier anführen, weil ich glaube, daß
sie allgemein bekannt sind. Viele Namen, von denen ich glaube, daß sie die meisten nicht
kennen, will ich für mich behalten. Aus Deutschland waren das in den letzten Jahren:
Helmut Reichmann, Ernst Gernot Peter, Hans Glöckl,
Georg Eckle, Horst und dann auch noch tragischerweise einige Jahre später seine Frau Marlis
Kall. Aus Österreich: RudiGöbel, Alf Schubert. Aus Belgien: Professor Sander. Aus
Frankreich: Sidot und Daniel Quemere, Cheffluglehrer von St. Auban. Aus den Niederlanden: Kees
Musters. Aus Südafrika: Heini Heiriss.
Wie gesagt, das sind nur einige der prominenteren Namen.
Nun zur Liste zwei. Für diese Liste gibt es absolut keine
Meldungen. Auf dem Weg zum Flugplatz habe ich überhaupt keinen Freund verloren. Und ich war
auch einigermaßen überrascht, daß die Liste drei mit Segelfliegern, die ich im
Straßenverkehr verloren habe, für mich jedenfalls keine Einträge hatte.
Wenn man sich darüber hinaus vor Augen führt,
daß wir in den letzten 20 Jahren mit Harro Wödl, den ich noch dazu nehme, auch wenn
ich ihn nicht persönlich kennengelernt habe, drei Weltmeister verloren haben - wir hatten
aber nur ungefähr 30 - und in den letzten zehn Jahren drei ehemalige Deutsche Meister - wir
hatten weniger als 30 -, so kann es einem schon einen Schauer überden Rücken jagen.
Mit zirka 10 Prozent Chance ist man selber dabei.
Meine persönliche Statistik führt mich zu der
Erkenntnis, daß Segelfliegen mindestens um den Faktor 30 gefährlicher ist als Auto
fahren. Denn jeder Segelflieger hat ja auch einen Führerschein. Und es ist wahrscheinlich
um den Faktor 1000 gefährlicher als die Fahrt zum Flugplatz. Dabei sollte ich zugeben,
daß es Unterschiede geben mag und sogar gibt. Daß der Segelflug im Bereich Ausbildung
relativ ungefährlicher ist. In der Ausbildung passiert meiner Kenntnis nach am wenigsten.
Und daß Überlandfliegen wahrscheinlich gefährlicher ist als die Ausbildung. Und
daß Wettbewerbsfliegen dann vielleicht noch gefährlicher ist als das
Überlandfliegen. Aber selbst wenn ich das einräume, so relativiert das bestenfalls den
Sachverhalt, insbesondere da die Ausbildung für alle nur eine Durchgangsstation ist und
danach immer mehr Segelflieger zum Überlandfliegen und Wettbewerbsfliegen drängen.
Nach allem was ich vom Segelfliegen kenne, was ich davon verstehe,
glaube ich, daß der Satz, das Gefährlichste am Segelfliegen sei die Fahrt zum
Flugplatz, das Dümmste und Ignoranteste ist, was mir in unserem Sport untergekommen ist.
In der drastischen Diktion meiner Kinder
würde ich sagen:
"Segelfliegen ist saugefährlich"!
Man könnte sagen, daß diejenigen, die den
Satz kritiklos glauben und benutzen, vielleicht nur dumm sind. Diejenigen aber, die es besser
wissen und die ihn nur deshalb benutzen, weil sie die Öffentlichkeit beschwichtigen wollen
oder weil ihnen der Gebrauch dieses Satzes eine positive Meldung in der Presse verschafft, die
handeln unverantwortlich. Das Gegenteil ist nämlich richtig.
In der drastischen Diktion meiner Kinder würde ich sagen:
"Segelfliegen ist saugefährlich"!
Es ist gefährlicher als alles andere, was ich sonst in
meinem Leben tue oder kenne. Warum ich nicht aufhöre? Eine gute Frage. Ich höre nicht
auf, weil es mir mehr Spaß macht und mehr Freude bereitet als alles andere, was ich mir
als Alternative dazu vorstellen könnte.
Ausschlaggebend ist aber ein zweiter Grund, und der ist der
entscheidendere, und deshalb halte ich auch diesen Vortrag: Ich glaube, daß Segelfliegen
nicht naturgesetzlich so gefährlich ist, wie es ist. Es könnte wesentlich
ungefährlicher sein, wenn wir uns der Gefahren stärker bewußt wären, und
wenn wir uns dann auch entsprechend verhalten würden. Was wir leider nicht tun.
Ich für meinen Teil bin mir sehr bewußt, wie
gefährlich Segelfliegen ist, und ich bemühe mich, mich entsprechend zu verhalten. Ich
habe deswegen die Hoffnung, daß ich als Individuum die Statistik schlagen kann. Wenn ich
diese Hoffnung nicht hätte, wenn für mich Segelfliegen so gefährlich wäre,
wie es dem statistischen Durchschnitt nach tatsächlich ist, würde ich sofort
aufhören.
Fast alle Freunde, die ich beim Segelfliegen verloren habe, sind
wegen human errors, wegen Pilotenfehler umgekommen. Es waren teilweise lächerliche
Kleinigkeiten, Nachlässigkeiten simpelster Art mit fatalen Folgen. Sie sind deswegen tot,
weil für sie im entscheidenden Moment andere Dinge wichtiger waren als Flugsicherheit. Wenn
Segelfliegen weniger gefährlich werden soll, als es tatsächlich ist, dann reicht nicht
die eine oder andere Maßnahme. Es muß sich die grundsätzliche Einstellung
ändern. Und die grundsätzliche Einstellung kann sich überhaupt nur ändern,
wenn wir die Gefahr, in die wir uns fast täglich begeben, realistisch einschätzen. Und
deshalb habe ich mich soeben in so drastischer Weise gegen den gedankenlosen Gebrauch und die
Weiterverbreitung des Satzes gewandt, das Gefährlichste am Segelfliegen sei die Fahrt zum
Flugplatz.
Jemand der mit diesem Satz das Segelfliegen beginnt, von dem
kann man wahrscheinlich nie wieder im Leben erwarten können, daß er die Gefahr
begreift, in die er sich begibt. Denn wenn er an diesen Satz glaubt, braucht er sich keine
Gedanken zu machen.
Und Sorglosigkeit ist der Tod jedes Sicherheitsbewußtseins.
Die allgemeine Haltung, die vielmehr häufig anzutreffen ist, ist die Beschwichtigungs-, die
Verdrängungshaltung. Im Unterbewußtsein spürt man zwar, daß da was
vorhanden ist, aber man möchte nicht darüber reden, daß es gefährlich ist.
Warum ist die realistische Einschätzung des Risikos so
wichtig? Weil davon unsere Strategie abhängt, wie wir mit der Gefahr umgehen.
Es gibt nichts ohne Risiko, das wissen wir. Selbst wenn wir am
Morgen nicht aufstehen, sondern im Bett liegen bleiben, könnten wir uns ein Szenario
ausdenken, bei dem uns etwas Schlimmes widerfährt. Aber wir würden uns deswegen wohl
keine Sorgen machen. Es gibt zwei ganz unterschiedliche Arten von Gefahren. Das eine sind die
typischen Alltagsgefahren, und als zweites die wirklich gefährlichen Dinge. Mit diesen
beiden Gruppen von Gefahren gehen die Menschen ganz unterschiedlich um.
Da ist die Gruppe der Alltagsgefahren, im Haushalt, bei Sport
und Spiel.
Zum Beispiel: Jeder von uns weiß, daß in der
Bundesrepublik eine bestimmte Anzahl von Menschen von umstürzenden Bäumen erschlagen
wird. Und trotzdem spaziert man durch den Wald ohne Angst, von einem Baum erschlagen zu werden.
Bei Alltagsgefahren sind keine besonderen Vorkehrungen notwendig.
Man kann hier auf das Glück vertrauen, daß nichts passieren wird, denn diese Gefahren
sind ja ganz extrem selten. Es ist unglaublich extrem selten, daß jemand von einem
umstürzenden Baum erschlagen wird. Auf der anderen Seite gibt es die wirklich
gefährlichen Dinge. Bei den wirklich gefährlichen Dingen sind besondere
Vorkehrungen erforderlich. Die Strategie kann nicht darin bestehen, daß man einfach darauf
vertraut, daß es nicht einen selbst, sondern jemand anderen trifft. Die Strategie muß
darin bestehen, die Gefahren von vorn hereinzu vermeiden, oder weil das zu 100 Prozent gar nicht
geht, sie möglichst klein und damit vertretbar zu halten.
Notwendig ist das, weil diese Gefahreneben nicht unwahrscheinlich
selten sind, sondern relativ wahrscheinlich. Und die Gefahr, beim Segelfliegen zu
verunglücken - deshalb habe ich die makabre Statistik eben bewußt angeführt
- ist unakzeptabel hoch. Segelfliegen ist eben keine dieser vernachlässigbaren typischen
Alltagsgefahren. Besondere Maßnahmen, unseren Sport zu überleben, wären
erforderlich.
Oft habe ich den Eindruck, daß das Segelfliegen zu den
unvermeidbaren Alltagsgefahren gezählt wird.
Und der idiotische Satz, daß Segelfliegen nicht so
gefährlich wäre wie die Fahrt zum Flugplatz, macht das deutlich. Unser
Gefahrenbewußtsein ist unterentwickelt. Wir sind nicht besorgt, daß ausgerechnet uns
etwas passieren könnte, anderen vielleicht, aber nicht ausgerechnet uns. Für die
Sicherheit, da haben wir unsere Experten unsere Flugsicherheitsinspektoren. Die machen das schon.
Bei denen ist das Thema gut aufgehoben. Wir selbst können uns statt dessen den anderen
Aspekten des Segelfliegens widmen.
Das, was uns die Sicherheitsinspektoren vermitteln, können
bestenfalls zusätzliche Erkenntnisse, Ratschläge sein. Umsetzen müssen wir das
selber. Wir müssen uns vielmehr selbst aktiv um das Thema kümmern.
Daß dies hier kein Gerede ist, daß unser
Sicherheitsbewußt sein tatsächlich unterentwickelt ist, das will ich an nur zwei
Beispielen illustrieren.
Beispiel eins: Ich erinnere an die Deutschen
Segelflugmeisterschaften 1990 in Bückeburg. Wir hatten unterschiedliche Startverfahren.
Die Offene Klasse flog mit Fototime und unbegrenzter Höhenfreigabe ab, die anderen hatten
eine Startlinie, die in der Regel bei 1000 m in der Höhe begrenzt war.
An einem heißen Tag ging es am nahen Wiehengebirge deutlich
über die Inversion hinauf, bis auf über 2000 m. Da lag auch der Abflugpunkt der
Offenen Klasse, die verständlicherweise so hoch wie möglich abfliegen wollte. Das war
schon gefährlich genug. Denn da kreisten 35 Offene-Klasse-Flugzeuge in einem Bart, der so
richtig in die Inversion pfefferte, deutlich höher als alle anderen. Und wer weiß, was
im letzten, oberen Teil der Blauthermik passiert, wenn die Thermik an den Deckel stößt,
der wird mich verstehen.
Denn da kann es passieren, daß man dort, wo man gerade
noch Steigen hatte, schon im nächsten Kreis Sinken hat. Die Luft ist dort extrem verwirbelt.
Der letzte Teil ist also besonders ungemütlich, weil sich dort die Flugzeuge höhenmäßig
heftig gegeneinander verschieben .
Daß sich nun 35 Offene-Klasse-Flugzeuge in diesem letzten
Teil aufhielten, war vom Abflugverfahren her verständlich. Sie hatten einen Nutzen davon.
Doch was die 80 Standard- und Rennklasseflugzeuge freiwillig da oben taten, das wird mir ewig
unbegreiflich bleiben. Denn das einzige, was die da oben taten, war zu warten, daß 1000 m
tiefer ihre Abfluglinie geöffnet wurde. Und als die offen war, zogen sie ihre Bremsklappen
und stürzten mit 200 km/h 1000 m tiefer runter.
Die Tatsache, daß die Piloten zuvor dort oben mit letztem
Einsatz die letzten 50 m erkurbeln wollten, kann nur bedeuten, daß etwas mit ihrer
Einstellung nicht stimmt. Und es waren fast alle dabei. Es könnte schon deshalb etwas mit
ihnen nicht stimmen, weil sie überhaupt keine Vorteile davon hatten und sich völlig
unnütz in eine Gefahr begaben. Denn das Kreisen in solch großen Pulks, das sollte man
doch soweit möglich vermeiden. Vor dem Beginn des Wettbewerbsfluges ist das in aller Regel
ohne Inkaufnahme von Nachteilen möglich. Da sollte man sein Pulver doch trocken halten
für die Zeit, in der es wirklich um etwas geht. Die Standard- und Rennklasseflieger, die da
so verbissen um die letzten Meter kurbelten, hatten dadurch nicht nur keinen Nutzen, sie
handelten sich sogar dicke Nachteile ein. Sie brauchten später einen relativ langen
Sturzgleitflug, um zur Abfluglinie herunterzukommen. Klüger wäre es doch gewesen, sich
dicht neben die Startlinie zu setzen, damit man jederzeit abfliegen kann und seine Konkurrenten
im Blick hat. Das war doch aus der Position in 2300 m gar nicht gegeben. Die Piloten der
15-m-Klassen haben mithin nicht nur etwas getan, was der Sicherheit abträglich war, sie
haben auch noch Nachteile für sich in Kaufgenommen.
Das nenne ich mangelndes Sicherheitsbewußtsein; sie hatten
überhaupt nicht nachgedacht.
Man kann natürlich sagen, beim Pulkfliegen passiert nicht
viel. Das wundert mich eigentlich auch immer wieder, daß da nichts oder so wenig passiert.
Das ist ganz erstaunlich. Je größer die Pulks, desto
weniger passiert. Vielleicht ist dies auch so, weil alle soviel Angst haben und gut aufpassen.
Aber eins kann man auch sagen, förderlich für die Sicherheit ist es bestimmt auch
nicht. Also sinnvoller wäre es gewesen, wenn sie in 1400 bis 1500 m im Aufwind
gekreist hätten, sich ein bißchen verteilt hätten, jedenfalls nicht bis
ganz nach oben gegangen wären.
Ein zweites Beispiel: Es kommt immer wieder vor, und es ist
offensichtlich nicht auszurotten, daß bei Meisterschaften die Steckenführungen so
gewählt werden, daß es zu Gegenkursen kommt oder daß Klassen auf praktisch
gleiche Aufgaben geschickt werden.
An den ersten zwei, drei Tagen wird dies noch relativ gut
beachtet, doch dann läßt dies zunehmend nach. Auch da kann etwas nicht stimmen.
Unternehmen kann man sehr leicht etwas dagegen: Da die Bedingungen für alle einer Klasse
gleich sind, spricht doch überhaupt nichts dagegen, selbst unter Inkaufnahme von
Wetternachteilen, die Klassen so zu separieren, daß sie sich möglichst während
des ganzen Tages nicht sehen. Daß es hier immer wieder zu Massierungen kommt, ist
völlig unverständlich und zeugt von einem mangelnden Bewußtsein der Gefahr, die
damit verbunden ist.
Drittes Beispiel, und das soll auch ein positives Beispiel sein:
Als ich im letzten Sommer bei den US-Nationals in der Rennklasse mit geflogen bin, da gab es
dort etwas, was mich tief beeindruckt hat. Jeden Morgen zu Beginn des Briefings gab es dort
einen Safetytalk. Am Tag vorher wurde jemand ausgeguckt und dazu bestimmt, am nächsten
Morgen zehn Minuten etwas zum Thema Sicherheit zu sagen. Manchmal waren es Allgemeinplätze,
nicht jeder ist ein geborener Redner.
Aber es sind ja alles gestandene Leute, die da fliegen.
Übrigens Leute, die herumgekommen sind, und da hatte schon fast jeder etwas Bemerkenswertes
beizutragen. Meistens aber war ich sehr beeindruckt von den wirklich guten Gedanken, die
vorgetragen wurden. Und die Zuhörer hörten auch aufmerksam zu. Ich hatte nicht den
Eindruck, daß die schon mit ihrer Flugvorbereitung beschäftigt waren. Die waren
ernsthaft an dem Thema Sicherheit interessiert.
Warum passiert so etwas bei uns nicht?
Bei uns werden, wenn wir Deutsche Meisterschaften fliegen,
während des Briefings Punkte der Ausschreibung oder Fragen jener besprochen, die zu faul
waren, die Ausschreibung zu lesen. Ich kann mich nicht erinnern, daß wir uns jemals in
dieser Weise zum Thema Sicherheit Gedanken gemacht hätten.
Ich bin bestimmt kein Sicherheitspapst. Ich habe das Thema
Sicherheit auch nicht erfunden. Ich weiß außerdem, wo ich selbst die
größten Defizite habe, aber ich weiß auch, wovon ich rede. Ich habe, das sind
inzwischen gut zwanzig Jahre her, nur knapp und mit viel Glück überlebt. Bei dem
Unfall, den ich gebaut habe, sind normalerweise 80 Prozent der Leute tot. Und von den
übrigen 20 Prozent ist noch über die Hälfte so schwer verletzt, daß sie
ihres Lebens nie mehr froh werden.
Soviel Glück hat man nur einmal im Leben. Und seitdem
versuche ich, aufzupassen. Und ich glaube, daß ich deutlich besser bin als der
Durchschnitt, bestimmt nicht perfekt, aber deutlich besser.
Denn wenn ich das nicht glauben würde, dann müßte
ich eigentlich sofort aufhören aus Verantwortung meiner Familie gegenüber, meinem
Unternehmen und mir selbst gegenüber.
Konkurrenten von mir wissen, daß ich bestimmte Dinge
einfach nicht tue. Ich erinnere mich an eine Situation bei der Weltmeisterschaft 1985 in
Italien, wo ich zusammen mit Klaus Holighaus in Problemen war. Klaus Holighaus - er war ein
wenig höher als ich - flog in leichtem Regen durch einen Paß mit böigem Wind von
einer Seite. Das heißt, wir wußten gar nicht richtig, wo der Wind herkam wir konnten
auch in ein Lee tauchen. Unsere Höhe über Grund war höchstens 60 bis 70 m, und wir
hatten noch 1 bis 2 km zum Paß zu fliegen. Und obwohl der Durchflug möglich schien-
Klaus Holighaus war schon praktisch durch - drehte ich ab, zurückins schlechte Wetter. Ich
verabschiedete mich in diesem Moment aus dem Reigen der Piloten, die sich ernsthaft um den
Weltmeistertitel Gedanken machen konnten. Aber es hat mir nie leid getan.
Auch bei mir hätte der Durchflug vielleicht- zu 99 Prozent
sogar - geklappt. Klaus war etwas höher durchgekommen, und bei mir wäre es, wenn
nichts dazwischengekommen wäre, geradeeben auch gegangen. Aber es hätte nur das
geringste schief zu gehen brauchen, nur daß ich Klaus falsch verstanden hätte, ob
der nun links oder rechts flog das macht ja in einem Paß einen großen Unterschied
dann hätte ich oben in dem Paß gelegen, und der war völlig unlandbar.
Ich bin durchaus bereit, Risiken einzugehen. Ich bin sogar
bereit, im Wettbewerb höhere Risiken einzugehen als normalerweise. Diese Statement
hört sich fast verwerflich an. Es ist aber nur auf den ersten Blick so verwerflich. Denn
wenn man für den Wettbewerb kein Risiko eingehen dürfte, könnte man damit auch
gleich den ganzen Segelflug einstellen beziehungsweise ad absurdum führen. Denn auf jeden
Fall ist Segelfliegen gefährlicher, als wenn wir nicht Segelfliegen würden.
Wenn ich also bereit bin, für das Segelfliegen ein Risiko
einzugehen, warum nicht auch für den Wettbewerb?
Worauf es ankommt, ist etwas ganz anderes. Nämlich die
permanente Überlegung, ob etwas, was ich tue, das Risiko wert ist. Wie hoch ist das Risiko?
Ist es vertretbar? Was kann man zur Verringerung tun?
Mit der lapidaren und simplen Feststellung, daß man etwas
für gefährlich hält, kann man den gesamten Segelflug einschließlich der
Fahrt zum Flugplatz in Frage stellen. Denn alles ist mehr oder weniger gefährlich. Und
alle anderen Sportarten ebenso. Das will auch keiner.
Was also ist zu tun?
Jeder einzelne muß für sich eine Sicherheitsstrategie
entwickeln. Am einfachsten ist es damit zu beginnen, die Risiken zu eliminieren, die völlig
überflüssig weil ohne Nutzen sind. In einem Pulk zu kurbeln, ohne daß man das
auszwingenden Gründen wirklich muß, ist einfach Dummheit. Und wir alle machen zu
viele dumme Sachen.
Darüber hinaus sollten wir uns der Risiken bewußt
sein, die wir eingehen, darüber nachdenken, wiewir sie möglichst klein halten und uns
Grenzen setzen, die wir nichtüberschreiten.
Wir sollten permanent etwas Angst haben oder, mit anderen Worten
gesagt, besorgt sein, denn nur der, der besorgt ist, paßt auch bei den simplen Dingen auf,
deren Nichtbeachtung oft die Ursache für Schlimmes ist.
Für sich selbst eine risikobewußte
Sicherheitsstrategie zu haben, ist jedenfalls die weitaus erfolgreichere Methode, unseren Sport
zu überleben, als nur darauf zu hoffen, daß man etwas mehr Glück hat als die
Freunde, die es trifft.
(Bruno Gantenbrinck)
ENDE
Wen Du schon mal bis hierher gekommen bist:
Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU)
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